Die großen Aufreger
im Tango Electronico sind Vergangenheit. Das Genre hat sich etabliert,
ist aber keineswegs von der Bild- und Tanzfläche verschwunden.
Immer wieder erscheinen Scheiben, auf denen eine mehr oder minder
interessante Koppelung von Tango-Rhythmen und programmierten Zutaten
versucht wird. Nils Imhorsts Projekt Tangolectrón gehört
hier ohne Zweifel zu den spannenderen Erscheinungen. Der Folkwang-Student
hat durch seine Mitgliedschaft bei Klezcetera seit den Neunzigern
schon einige Erfahrungen im Tangobereich gesammelt, war interkontinental
mit Jazzensembles unterwegs und setzt all das nun in einer neuen Sprache
um. Mit im Boot sind zahlreiche Gäste wie der Bandoneonist Henrik
Albrecht oder die Spanierin Minerva Díaz Pérez, die
man vom Projekt N.O.A.H her kennt und die drei Stücke mit ihrer
fruchtigen Stimme bereichert. Bei den Keyboard-Klängen setzt
Imhorst auf Equipment, das sich teils bewusst anachronistisch gibt
und einigen Stücken den Charme von Retro-Pop verpasst. Wenn diese
Klänge wie aus einer Science Fiction-Soundspur der 1970er auf
das historische Vokabular vom Rio de la Plata treffen, ergibt sich
eine ganz neue Legierung.
Zaghaft setzt Imhorst auch mal einen Fuß in den House-Bereich,
wenn er die lyirschen Soli seiner Ensemblemitglieder unter einen flinken
4/4-Beat zwingt. Dann jedoch wieder taucht unvermutet ein von akustischem
Gitarrenschmelz dominiertes Intro auf (Leo Henrichs von Tierra Negra
zeichnet hier verantwortlich) oder eine ruhige „Fuga“
wird vom Piano über gedämpften Maschinenbeats vorgetragen.
Skeptiker sollten sich vielleicht über den Klassiker „Después“
von Hugo Gutiérrez herantasten, den Pérez mit hinreißender
Flexibilität meistert. Und wie tief Imhorst den Tango Nuevo verinnerlicht
hat, zeigt sich im nachdenklichen Finale „Cinco Minutos De Soledad“,
eine neckische Anspielung an Piazzollas „Tres Minutos Con La
Realidad“. Diese Kompositionen mit einer nicht alltäglichen
Synthese aus patinabesetzter Elektronik und organischer Akustik ist
nicht alltäglich und wird an kaum einer Stelle langweilig.