CD-Rezension blue rhythm (von Stefan Franzen)

Die großen Aufreger im Tango Electronico sind Vergangenheit. Das Genre hat sich etabliert, ist aber keineswegs von der Bild- und Tanzfläche verschwunden. Immer wieder erscheinen Scheiben, auf denen eine mehr oder minder interessante Koppelung von Tango-Rhythmen und programmierten Zutaten versucht wird. Nils Imhorsts Projekt Tangolectrón gehört hier ohne Zweifel zu den spannenderen Erscheinungen. Der Folkwang-Student hat durch seine Mitgliedschaft bei Klezcetera seit den Neunzigern schon einige Erfahrungen im Tangobereich gesammelt, war interkontinental mit Jazzensembles unterwegs und setzt all das nun in einer neuen Sprache um. Mit im Boot sind zahlreiche Gäste wie der Bandoneonist Henrik Albrecht oder die Spanierin Minerva Díaz Pérez, die man vom Projekt N.O.A.H her kennt und die drei Stücke mit ihrer fruchtigen Stimme bereichert. Bei den Keyboard-Klängen setzt Imhorst auf Equipment, das sich teils bewusst anachronistisch gibt und einigen Stücken den Charme von Retro-Pop verpasst. Wenn diese Klänge wie aus einer Science Fiction-Soundspur der 1970er auf das historische Vokabular vom Rio de la Plata treffen, ergibt sich eine ganz neue Legierung.
Zaghaft setzt Imhorst auch mal einen Fuß in den House-Bereich, wenn er die lyirschen Soli seiner Ensemblemitglieder unter einen flinken 4/4-Beat zwingt. Dann jedoch wieder taucht unvermutet ein von akustischem Gitarrenschmelz dominiertes Intro auf (Leo Henrichs von Tierra Negra zeichnet hier verantwortlich) oder eine ruhige „Fuga“ wird vom Piano über gedämpften Maschinenbeats vorgetragen. Skeptiker sollten sich vielleicht über den Klassiker „Después“ von Hugo Gutiérrez herantasten, den Pérez mit hinreißender Flexibilität meistert. Und wie tief Imhorst den Tango Nuevo verinnerlicht hat, zeigt sich im nachdenklichen Finale „Cinco Minutos De Soledad“, eine neckische Anspielung an Piazzollas „Tres Minutos Con La Realidad“. Diese Kompositionen mit einer nicht alltäglichen Synthese aus patinabesetzter Elektronik und organischer Akustik ist nicht alltäglich und wird an kaum einer Stelle langweilig.

www.bluerhythm.de

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